Zu Ostern erreichte Dumela eine Mail von Gisela Häring von unserem Partnerprojekt Deepam in Indien:
Ein froher Gruß aus Indien mit kleinen und großen Alltagsgeschichten und Alltagssorgen. Das folgende Erlebnis passt zwar besser in die Weihnachtszeit, aber es hat sich im Februar zugetragen.
Es begab sich am 10. Februar um die Mittagszeit – ich packte – als mehrere Stimmen eindringlich nach mir riefen. Komme ganz schnell runter – mein Zimmer ist im 1. Stock. Mein erster Impuls ist immer, es ist einer Person schlecht geworden, sie verblutet oder ist ohnmächtig geworden – wie Krankenschwestern so denken. Aber es war anders. In unserer Halle erwartete mich eine Frau mit einem kleinen Bündel Mensch auf dem Arm. Ich war zuerst verwirrt, überrascht. Dann kam Wimmern aus den Tüchern. Es war ein kleiner, untergewichtiger Junge, der fünf Stunden vorher das Licht der Welt erblickt hatte. Ganz schnell wurde mir dann erzählt, das die Mutter des Jungen nach der Geburt gestorben ist und der Vater des Jungen das Kind nicht wollte. Die Familie – entfernte Verwandte – hoben im Garten den Boden aus, um das Neugeborene dort zu begraben und sterben zu lassen.
Meenas ältere Schwester rief hier an und fragte, ob die „Schwester“ – das bin ich – wohl eine Lösung für das Kind hat. Meena hat sofort reagiert und ihre Schwester nach Viralimalai beordert. (Von Meena wird später nochmals berichtet.) So, jetzt hatten wir den kleinen Jungen. Was tun? Wenn wir ihn in ein Adoptionszentrum geben, wird er zwar gefüttert aber… Es sind so viele dort, um individual ein Baby zu versorgen. Aber da war noch unsere Susila. Sie ist seit 13 Jahren verheiratet und das Ehepaar hat einen Kinderwunsch, der bisher nicht erfüllt wurde, obwohl schon alle möglichen Therapien ausprobiert wurden. Doch so schnell, so plötzlich Mutter werden? Was wird der Ehemann sagen, die ganze Großfamilie, die ja in Indien eine wesentlich größere Rolle spielt als in der westlichen Kultur? Am Abend war dann alles „in besten Windeln“! Der Junge – damals 1700 Gramm schwer – wiegt inzwischen 2500 Gramm. Sein Name ist Joe-Ham. Das „a“ wird wie“ ä“ ausgesprochen.
Nach zehn Tagen Krankenhausaufenthalt und regelmäßigen Besuchen beim Kinderarzt, sind die Ärzte, die Eltern und Joe-Ham sehr zufrieden. Es ist wie Weihnachten und Ostern an einem Tag! Neues Leben für das Ehepaar und für Joe-Ham. Ich bin sehr dankbar, dass sich gleich eine Patenschaft ergeben hat; denn Susila und Bastian konnten sich keine neun Monate auf eine Baby vorbereiten.
Zehn Stunden ohne Strom – jeden Tag!
Ansonsten versuchen wir die schleichende Hitze zu meistern. Was uns im Augenblick, vor allen Dingen nachts, schwer fällt; denn alle zwei Stunden fällt der Strom für 45 Minuten aus, nicht zu vergessen, der dreistündige Stromausfall am Morgen und am Nachmittag. So kommen wir auf einen zehnstündigen Stromausfall pro Tag. Was uns zu der Überlegung führte, ob wir nicht für die Ventilatoren eine neue Solaranlage installieren sollen. Ich habe den Kostenvoranschlag eingeholt.
Seit heute bekommt jede Familie nur noch vier Gasflaschen pro Jahr, wenn mehr benötigt wird, muss zu einem horrenden Preis eingekauft werden – früher 400 Rupien, dann 1200 Rupien. In unserem Haus können wir mit einer Gasflasche drei Wochen kochen. Die Vergabe von Gas wird vom Staat kontrolliert.
Vergangenen Freitag sind wir der Einladung zur Verlobung von Meena gefolgt. Meena arbeitet seit 2006 in unserem Nähzimmer. Sie ist inzwischen 24 Jahre alt. Über Jahre ist die Familie zu verschiedenen Tempeln gepilgert und hat für einen guten Ehemann gebetet und Opfer dargebracht. Jetzt ist es so weit. Das Fest fand im Haus der Eltern von Meena statt. Es war wunderschön geschmückt und dekoriert. Eine kleine Bühne war aufgebaut. Als die Familie des Bräutigams einen Sari geschenkt hat, verschwand Meena und auf der Bühne wurde tüchtig diskutiert. Die Männer der beiden Familien setzten sich damit auseinander, wieviel Mitgift Meena mitzubringen hat und wann wohl der „gute Tag“ für die Hochzeit sein soll. Es ging heftig zu, aber das erste Mal erlebte ich, das die Seite des Mannes auf die Mitgift verzichtete.
Dann wurde die Bühne frei gemacht und Meena erschien im neuen Sari, geschmückt mit vielen Blumen. Sie konnte betrachtet werden! Dann kamen ihre Eltern auf die Bühne und sie hat sich vor Ihnen zu verbeugen und die Füße zu berühren. Dann wurde gegessen. Der junge Mann stand mit Freunden in einer Ecke und war stiller Beobachter. Ich machte meinen Kommentar, dass es ein gut aussehender junger Mann sei, da gab Meena zur Antwort: „Ich habe ihn mir noch nicht angeschaut!“ „Auch nicht aus den Augenwinkeln?“, fragte ich sie. Die Antwort kam prompt: „Nein!“. Die Hochzeit wird am 7. Juni stattfinden.
Jetzt bleibt mir noch Platz Ihnen ein gesegnetes Osterfest zu wünschen. Wir werden dem indischen Sommer entgegen gehen, der uns über 41 Grad bescheren wird. Die Zeit wird ausgefüllt sein mit einer Tagung für junge Frauen, einem Kinderfreizeitprogramm, Anmeldungen für das College und Ertragen der Hitze. Geruhsame Festtage wünschen wir alle und die Freude im Herzen, die Joe-Ham nicht nur den Eltern sondern uns und der ganzen Nachbarschaft bringt.